Sich verstehen kann man lernen

Münchner Kirchennachrichten

Sich verstehen kann man lernen

Kulturbrille und Kulturschock

Irene Martius ist Trainerin für Interkulturelle Kommunikation und gibt Integrations- und Deutschkurse. Außerdem hilft sie Asylbewerbern mit dem Helferkreis „toP – tolerantes Putzbrunn“. Das kann sie so gut, weil sie selbst „Migrationshintergrund“ hat. An Pfingsten ist sie zu Gast in unserer Radio-Talksendung „Hauptsache Mensch“.

München/Putzbrunn – „Das erste Jahr war echt hammerhart“, sagt Irene Martius über ihre ersten Gehversuche in Bayern. Sie war gerade mit ihrem Mann von Bochum nach Putzbrunn gezogen – aus beruflichen Gründen. „Die Menschen im Ruhrgebiet sind von Herzen und aus tiefster Überzeugung gerne und fast immer ironisch. Die Bayern dagegen tun sich schwer mit Ironie. Damit bin ich sicher Einigen auf den Schlips getreten.“ Und auch das Verhältnis zwischen Männern und Frauen sei hier anders. Diese Erfahrung hat sie vor allem mit Handwerkern gemacht. „Stundenlang haben wir darüber gesprochen, wo die Steckdosen in der Küche hinkommen und wie der Fliesenspiegel aussehen soll. Und am Ende fragt der Handwerker, ob er dann jetzt mit meinem Mann sprechen kann…..“ Aber dass es Unterschiede zwischen den Kulturen gibt, diese Erfahrungen hatte sie auch schon als Au-Pair in Madrid und bei einem Praktikum am Goethe-Institut in Brasilien gemacht. Und anschließend in ihrer Weiterbildung zur Trainerin für Interkulturelle Kompetenz wissenschaftlich bestätigt bekommen.

Es gibt nämlich eine Kulturgrammatik – genauso wie in Sprachen. Aber anstelle der Frage nach dem Verb oder dem Tempus heißen die Stellschrauben hier anders. Zum Beispiel wird unterschieden, ob eine Gesellschaft individualistisch oder kollektivistisch ist. Wenn ein Asylbewerber gerade mit seiner Mutter telefoniert, wird er dieses Gespräch wahrscheinlich nicht abbrechen, wenn gerade der Deutschkurs anfängt. Denn er ist dem Kollektiv – also seiner Familie – mehr verbunden, als seiner persönlichen Karriere. Integrationshelfer, die das wissen, können erklären, dass der Deutschkurs der ganzen Familie zugute kommt, weil man nur so einen Job bekommt. Der Kurs wird dann als deutlich wichtiger eingestuft.

Bei internationalen Handelsbeziehungen ist es oft so, dass man erst mal etwas Persönliches im Smalltalk von sich preisgeben muss, um das Vertrauen des Gegenübers zu gewinnen. Das ist schwierig für Deutsche, denen es um die Sache geht, nicht um die Beziehung.

Andere Beispiele für die Kulturgrammatik sind die Redegeschwindigkeit und die Frage, ob man sich gegenseitig ausreden lässt. „Ich habe mich lange gefragt, warum die Spanier mir immer gesagt haben, ich sei so ernst“, erläutert Irene Martius. Etwas, was der quirligen Frau in Deutschland sicher keiner nachsagen würde. Erst bei ihrer Weiterbildung zur Trainerin für Interkulturelle Kompetenz wurde ihr klar, dass sie als Deutsche es gewohnt war, ihr Gegenüber ausreden zu lasen. Spanier hingegen sprechen überlappend. „Und wenn ich sie ausreden lasse, warten sie eigentlich darauf, das ich endlich reingrätsche und sie müssen immer noch was anhängen, obwohl sie eigentlich schon lange nichts mehr zu sagen haben“. Ihr Warten dürften die meisten Spanier als „Ernst“ interpretiert haben.

Asyl-Helferkreis

Als vor einigen Jahren in ihrer neuen Heimat Putzbrunn ein Wohnheim für Asylbewerber eingerichtet werden sollte, spürte sie sehr deutlich, wie sich Ängste und Vorurteile im Ort verbreiteten. Sie war im Pfarrgemeinderat aktiv und hat den Helferkreis „toP – tolerantes Putzbrunn“ mit gegründet – und einige Ängste zerstreuen können, weil sie beiden Seiten etwas erklären und zwischen den Kulturen vermitteln konnte. Aber sie hat das nicht nur getan, weil sie es kann, sondern aus christlicher Überzeugung. Eine Stelle aus dem Matthäus-Evangelium (25,35-36) kommt ihr da gleich in den Kopf: „Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich bei euch aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir etwas anzuziehen gegeben; ich war krank und ihr habt mich versorgt; ich war im Gefängnis und ihr habt mich besucht.‘

Und natürlich die Geschichte vom barmherzigen Samariter. Der hilft ohne zu fragen, wer der andere ist und warum er in Not ist. Er hilft, weil der andere gerade Hilfe braucht. Aber – und das sei auch ein wichtiger Aspekt der Geschichte für sie: er geht dann auch wieder seinen eigenen Weg und überlässt die weitere Versorgung jemand anderem. (br)

Wer mehr über Irene Martius und ihre Arbeit wissen möchte: An Pfingsten ist sie zu Gast in unserer Radio-Talksendung „Hauptsache Mensch“, die am Sonntag auf rund zwanzig bayrischen Lokalsendern und im Münchner Kirchenradio zu hören ist. Außerdem steht die Sendung anschließend auf unserer Homepage hauptsache-mensch-radio.de online.